Zoë Beck (Jahrgang 1975) lernte Klavier und studierte Literatur. Heute schreibt und übersetzt sie Bücher. Unter anderem. Eine Top-Fünf der liebsten Bücher zusammenzustellen, empfindet sie als Zumutung, wenn nicht sogar Verrat. Fragt man sie übermorgen, werden es fünf andere sein.
Die gelbe Tapete
Einer Frau geht es nicht gut. Sie hat gerade ein Kind bekommen, und sie kann dazu keinen Bezug herstellen. Also mietet ihr Mann, von Beruf Arzt, ein Haus auf dem Land und steckt sie ins Schlafzimmer, das sie fortan kaum mehr verlässt. Vor den Fenstern sind Gitter, und auch der Zugang zum Rest des Hauses wird überwacht. Sie darf nicht arbeiten, sie darf sich nicht anstrengen, sie soll sich ausruhen. Es heißt, sie leidet an irgendwas zwischen Depression und Hysterie, was man zu der Zeit Frauen ja gerne mal diagnostizierte. Langsam schlittert sie in die Psychose und beginnt, in der gelben Tapete andere Frauen zu entdecken, die im Muster eingesperrt sind. Frühes feministisches Werk, eine Kurzgeschichte, bis heute noch großartig und gültig, wie kürzlich erst die Inszenierung von Katie Mitchell an der Berliner Schaubühne zeigte.
Autorin: Charlotte Perkins Gilman. Übersetzer: Alfred Goubran.
Fahles Feuer
Nach der angeblichen Ermordung seines Nachbarn, dem Professor und Lyriker John Shade, gibt Charles Kinbote dessen 999-zeiliges, in vier Cantos unterteiltes Gedicht „Fahles Feuer“ heraus. In dem nicht besonders grandiosen Gedicht geht es vornehmlich um den Tod von Shades Tochter Hazel. In Kinbotes Vorwort und den sehr (sehr!) umfangreichen Anmerkungen geht es so gar nicht um das Gedicht, und auch nur ganz am Rande um Shade. Kinbote erzählt darin vielmehr von Charles II., dem geliebten, aber durch eine sozialistische Revolution vertriebenen Herrscher von Zembla, einem fernen Land im Osten. Dieser Charles lebe nun in ständiger Gefahr, ermordet zu werden, und der Mörder habe aus Versehen Shade erwischt. Charles Kinbote hält sich nämlich für den vertriebenen König (oder ist es vielleicht sogar, sollte Zembla keine Fiktion in der Fiktion sein). Erzählt wird mit vielen Querverweisen, es muss und kann nicht unbedingt linear gelesen werden.
Autor: Vladimir Nabokov
Zeno Cosini
Triest, der erste Weltkrieg steht bevor, und die Psychoanalyse läuft sich gerade warm. Zeno Cosini stürzt sich mit Begeisterung auf diese neue Disziplin, weiß alles darüber und ist damit der denkbar ungeeignetste Patient. Hinzu kommen sein Hang zur Hypochondrie, sein nicht bewältigbarer Vaterkonflikt und seine Bereitschaft, möglichst unglücklich zu sein. Zeno raucht tausende letzte Zigaretten, er heiratet die unattraktivste von drei Schwestern (die sich dann jedoch als absoluter Glücksfall für ihn herausstellt), er kann nicht mehr laufen, nachdem er hört, wie viele Muskeln für diesen Vorgang allein im Bein bewegt werden müssen. Zeno Cosini schreibt seine wunderbar kranken Selbstreflexionen aus therapeutischen Gründen auf. Diese werden nach dem hässlichen Ende der Therapie aus Rache von seinem Arzt veröffentlicht. Zenos Fazit: alle krank. Außer ihm.
Autor: Italo Svevo. Übersetzer: Piero Rismondo, Ragni Maria Gschwend.
Die Herren der Zäune
Ein englischer Vorarbeiter und zwei unmotivierte schottische Heavy Metal-Fans, Tam und Richie, die mit ihm ein Team bilden sollen. Sie bauen in Schottland Hochspannungszäune, und das nicht immer ganz korrekt. Es kommt zu tödlichen Unfällen, die unter den Teppich gekehrt, um nicht zu sagen: unter dem Zaunpfahl begraben werden. Im Wohnmobil müssen sie irgendwann nach England, wo die finsteren Hall-Brüder die größte Konkurrenz sind. Anfangs noch vertreiben sich die drei die Zeit mit Trinken, Rauchen und Musik hören, die beiden unzertrennlichen Schotten schimpfen über die öde englische Landschaft. Dann wird es zunehmend absurder, und die Machenschaften der Hall-Brüder werfen mehr und mehr Fragen auf, bis ein kafkaeskes Ende keine davon beantworten wird.
Autor: Magnus Mills. Übersetzerin: Katharina Böhmer.
Adressat unbekannt
Ein Deutscher, ein Jude, Hitlers Machtergreifung. Max Schulse kehrt zu ebendieser Zeit in seine Heimat zurück. Sein jüdischer Freund Max Eisenstein bleibt in den USA und führt die Kunstgalerie weiter. Sie schreiben sich, und Schulses Haltung gegenüber den Nazis wird mit jedem Brief unkritischer. Eisensteins Schwester hält sich derweil in Österreich und Deutschland auf, wo sie als Schauspielerin Fuß fassen will. Er hat Angst um sie, und da Schulse einmal sehr in die Schwester seines Freundes verliebt war, bittet er ihn, sich um die junge Frau zu kümmern. Doch Schulse ist mittlerweile überzeugter Patriot und schickt die Jüdin weg – in den Tod. Eisenstein erfährt davon und rächt sich. Fürchterlich.
Autorin: Katharine Kressmann Taylor. Übersetzerin: Dorothee Böhm.