Eric Jarosinski, angehender ex-Professor der Germanistik an der University of Pennsylvania, betreibt den Twitter Account @NeinQuarterly, „A Compendium of Utopian Negation“. Neben Tweets und der Kolumne „Ideologie des Alltags“ in Die Zeit schreibt er gelegentlich Texte mit mehr als 140 Zeichen für das deutsche Feuilleton und arbeitet gerade an einem Buch — Nein. Ein Manifest. — , das nächstes Jahr bei Fischer in Deutschland und bei Lebowski in den Niederlanden erscheint. Er lebt in Philadelphia und New York.
„Welche fünf Bücher bedeuten Dir so viel, dass Du sie nicht mehr hergeben würdest?“
Schwierig. Es gibt verdammt viele Bücher. Ich besitze sogar selbst eine Menge. Zum Glück habe ich aber nur wenige davon gelesen. Das macht die Sache um einiges leichter. Was sie aber schwieriger macht, ist die Tatsache, dass ich alle meine Bücher sowohl zu viel als auch zu wenig liebe. Von richtigen Lieblingsbüchern kann ich kaum sprechen.
Mit Verlaub möchte ich also die Frage leicht umformulieren. Also: Welche fünf Bücher hast du hergegeben, die du nicht hättest hergeben sollen?
Denn wer Bücherregale hat, kennt auch die Leerstellen der Bücherreue. Hier also einige Highlights aus meiner Sammlung verschollener, verschenkter, verkaufter Bücher:
Der Zauberberg
Mein Vater hat vor einigen Jahren eine englische Übersetzung gefunden, The Magic Mountain, in einem Trödelladen namens Junk Palace oder so ähnlich in Arizona. Fünf Dollar. Klar: signiert. Dem Germanisten der Familie hat er das Buch geschenkt. Und eben dieser Germanist brauchte vor einigen Jahren dringend Geld und hat es verkauft, beim New Yorker Antiquariat The Strand: $250. Ein Glück im Hinblick auf die damalige Finanzkrise. Im Hinblick auf alles andere: eine Schande.
Autor: Thomas Mann
White Noise
Eine billige Taschenbuchausgabe eines großartigen Buches. Meiner Freundin damals geschenkt. Eine Woche danach machte sie Schluss. Ob ein Zusammenhang bestand, bleibt ungeklärt.
Autor: Don DeLillo
Hunderte Suhrkamp Taschenbücher, vor allem Brecht und Kraus
Mitte der Neunziger als Mängelexemplare in Bonn gekauft (eine Mark das Stück). Als billige Büchersendung nach Amerika geschickt. Nie wieder gesehen. Vielleicht treffen sie noch ein. Gelesen. Von Parfum, Rilke und Rauch duftend. Und mit ausführlichen Randnotizen von Maria Callas oder Borges versehen.
Mythen des Alltags
Wieder der Liebe wegen verschenkt. Auf einer Reise nach Paris. Die Mythen unserer Beziehung waren schön. Der Alltag weniger.
Autor: Roland Barthes. Übersetzer: Horst Brühmann.
Cellophane Modernity
Mein eigenes Buch also. Es ging um die Transparenz als Metapher im heutigen deutschen politischen Diskurs. Ich habe es nie fertig gekriegt, sondern Twitter geschenkt, sozusagen, indem es sich in 30.000 Tweets auflöste. Wahrscheinlich besser so.
Tja. Fünf Bücher, gone but not forgotten. Man wird leicht nostalgisch, ertappt sich im Tagtraum. Vielleicht wird doch eines Tages mein eigenes Buch ein würdiges Ende finden. Dann widme ich das Manuskript meinem Vater und stelle es heimlich in ein Regal in The Strand. Oder ich schenke es meiner Freundin, im vollen Rausch einer so schönen wie unmöglichen Liebe. Aber am besten schicke es nach Deutschland. Als billige Büchersendung. Mit schönen Grüßen an Brecht und Karl Kraus.