Lilo Wanders ist eine Kunstfigur, die vor über 20 Jahren von dem Hamburger Schauspieler Ernie Reinhardt erfunden wurde. Inzwischen ist „die Wanders“ eine Person des öffentlichen Interesses, authentisch und in Deutschland weltberühmt. Zweimal hat sie Fernsehgeschichte geschrieben: mit der „Schmidt-Mitternachts-Show“ und der Moderation der Sendung „Wa(h)re Liebe“. Sie steht im deutschsprachigen Raum mit kabarettistischen Programmen auf der Bühne, moderiert Gala-Veranstaltungen und zeigt den Touristen in Hamburg mit ihrer „Tour de Schmidt“ ihr St.Pauli. Lilo Wanders hat zwei große Hobbys – und das zweite ist Lesen.
Der Besuch des Leibarztes
Die Geschichte ereignet sich zwei Jahrzehnte vor der Französischen Revolution in Dänemark: König Christian VII. ist krank, ein Opfer der Schwarzen Pädagogik; man hat ihm die Seele aus dem Leib geprügelt. Er wird verheiratet mit der jungen englischen Prinzessin Caroline Mathilde und ruft den Arzt Struensee nach Kopenhagen, dem der nach und nach die Regierungsgeschäfte überträgt. Struensee macht eine Revolution vom Schreibtisch aus, beschneidet die Rechte des Adels und hebt die Leibeigenschaft der Bauern auf – und beginnt eine Affäre mit der Königin. In diesem Buch findet sich eine der schönsten Schilderungen eines heterosexuellen Liebesakts, die ich kenne. Und das bis zum bitteren Ende geschilderte Leben der drei am Hofe ähnelt in der Beschreibung der Unbeschwertheit einer Hippiekommune. Ein großes Buch, wie fast alles von Enquist, und es gehört immer zu meiner Lesung erotischer Stellen der Weltliteratur unter dem Titel „Pulsschlag tief in ihr“.
Autor: Per Olov Enquist. Übersetzer: Wolfgang Butt.
Die Kunst der Bestimmung
In der Barockzeit in London begegnen sich zwei Männer, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Der Schwede Simon Chrysander soll im Auftrag der Königlichen Gesellschaft die Schöpfung katalogisieren und ordnen. Bei einem Ausflug in ein Hurenhaus spielt ihm der hedonistische Earl of Fearnall, Lucius Lawes, als Prostituierte verkleidet einen Streich. Das Zusammentreffen mit dem strengen Wissenschaftler weckt in ihm das Bedürfnis, als der Mensch begriffen und geliebt zu werden, der er ist. Chrysander soll ihn bestimmen. Aber der Wissenschaftler ist nicht in der Lage, das Mädchen, das ein Junge ist, als Menschen zu erkennen, den man lieben kann. Er ist zugleich fasziniert und abgestoßen. Der junge Mann hingegen kann nicht für Chrysander, der Lucius nicht lieben kann, die begehrte Lucy sein. Der junge Lord verfolgt Chrysander, überhäuft ihn mit Gunstbezeugungen und Geschenken. Das Objekt der Begierde wehrt sich gegen alle Verführungskünste, vor allem aber gegen die eigenen Gefühle – und dann verfallen die beiden einander.
Ich staune immer wieder, wie Christine Wunnicke so viel wissen kann über die Gefühlslage von Männern – und habe beim ersten Lesen das Buch am Ende laut aufschreiend in die Ecke gefeuert. Denn natürlich endet dieser Roman tieftraurig, obwohl es unglaublich komische Passagen gibt.
Autorin: Christine Wunnicke
Meine Mutter Marlene
Ich habe in zwei sehr unterschiedlichen Produktionen auf der Bühne Marlene Dietrich gespielt und in den Vorbereitungszeiten alles gelesen, was über die Dietrich je veröffentlicht worden ist. Das Buch ihrer Tochter Maria gehörte natürlich dazu, aber ich hatte es vorher schon geradezu verschlungen. Diese Abrechnung mit der monströsen Mutter wirkt skandalös und kaltschnäuzig, ist aber verzeihend und von Mitgefühl für Marlene und sich selber getragen. Die Dramen der eigenen Biographie relativieren sich, je weiter das Leben voranschreitet, das gehört zu meiner eigenen Erfahrung des Älterwerdens. Und vielleicht haben sogar Marlene und Maria im Mutter-Tochter-Einverständnis dieses Buch zusammen ausgeheckt, damit die Tochter nach dem Tod der Mutter einen Millionencoup landen konnte, wer weiß.
Autorin: Maria Riva. Übersetzer: Wolfram Ströle.
Jago
Der Comic-Zeichner Ralf König ist ein weiser und gebildeter Mann, der viel über das Leben und die Liebe weiß. Einer meiner liebsten Bände ist sein „Jago“, eine – natürlich – schwule Geschichte aus der Shakespeare-Zeit, saukomisch und anspielungsreich, immer wieder ein Vergnügen beim Schmökern. Alles von Ralf König steht bei mir in einem Extraregal in der Toilette, und manchmal hört man laut wieherndes Gelächter der Gäste beim Verrichten ihrer Geschäfte, das freut!
Autor: Ralf König
Vatermord
Ungefähr 5.000 Bücher stehen bei mir in den Regalen, viele davon sogenannte Thriller. Krimis sind die Gesellschaftsromane der heutigen Zeit, man erfährt so viel über die Menschen, die Gesellschaft und letzten Endes über sich selbst. Es erscheint eine Menge Mist, aber es gibt auch eine große Anzahl stilistisch und literarisch richtig guter Krimis, so dass die Auswahl schwer fällt. Die Autoren sind Legion: Reginald Hill, Barbara Vine, Ruth Rendell, Henning Mankell, Tana French, Jo Nesbo – um nur einige zu nennen. Ich habe gerade von Val McDermid „Vatermord“ gelesen, ein kluges und spannendes Buch, mit einem grausigen Plot und mit tiefer Einsicht in die Vielfalt der menschlichen Natur.
Autor: Val McDermid. Übersetzerin: Doris Styron.
Bild: Jan Sobottka